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MF Global – Kanarienvogel in der (Finanz)Kohlengrube?

16.11.11 Editorial
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Der Zusammenbruch und Konkurs von MF Global, dem US-Brokerhaus mit Investmentbank-Appetit und-Ambitionen, am 31. Oktober war die achtgrösste Unternehmensinsolvenz in der amerikanischen Geschichte, hinter Lehman Brothers, Enron und Washington Mutual, aber noch vor dem Autobauer Chrysler. Wie bei jedem Konkurs bemühen sich die Kunden verzweifelt, ihr Geld zurückzubekommen, aber große Summen sind verschwunden.

Broker sollen Kundengelder von den Geldern, mit denen sie den Eigenhandel finanzieren, trennen, anscheinend sind aber Breschen in die Wände geschlagen worden. Dies hat Ermittlungen wegen regulatorischen und möglicherweise kriminellen Fehlverhaltens und erhebliches Medieninteresse ausgelöst.

Es wird einige Zeit dauern, die Bücher zu entwirren, das ist aber nicht die eigentliche Story. Die hervorstechende Lehre aus dem Zusammenbruch von MF Global ist, dass er uns so deutlich vor Augen führt, dass sich trotz des ganzen Geredes über Regulierung seit der großen Finanzkrise von 2008 im Grunde nichts geändert hat. Alle wesentlichen Merkmale sind vorhanden: enormes Fremdkapital, staatliche Subventionen für reine Spekulationen, die Drehtür zwischen Finanzwirtschaft und Staat und die Umwandlung von Aufkauffirmen in gefräßige Finanzkonglomerate.

MF Global war ursprünglich die Broker-Abteilung des VK-Hedgefonds Man Financial und tätigte seine Geschäfte von einer Steueroase – Bermuda – aus, selbst nachdem es an die Börse gegangen war. Im Jahr 2008 wurden ihm gewaltige Verluste mit Rohstoffderivaten fast zum Verhängnis. Die Beteiligungsfirma J.C. Flowers rettete das Unternehmen mit Geldern, die zum Teil über Pensionskassen öffentlicher Bediensteter aufgebracht wurden.

J.C. Flowers war durch ein Geschäft mit der Long-Term Credit Bank von Japan, einer „too big to fail“-Bank, die unter der Last fauler Kredite unterzugehen drohte, als die Immobilienblase in Japan platzte, zu einem Starakteur des Finanzsektors geworden. Im Jahr 1989 wurde die LCTB verstaatlicht und die Notierung an der Börse von Tokio eingestellt. Im Jahr 2000 gehörte J.C. Flowers einem internationalen Konsortium an, das die Bank kaufte und sie unter dem Namen Shinsei Bank of Japan weiterführte. Goldman Sachs strich hohe Provisionen für die Beratung der japanischen Regierung bei dieser Transaktion ein, darunter eine 3jährige staatliche Garantie für den Rückkauf fauler Kredite.

Die neuen Eigentümer nutzten die Garantien, um die uneinbringlichen Forderungen wieder bei der Regierung abzuladen, die schließlich auf mehr als USD 46 Milliarden saß. Im Jahr 2004 erzielte J.C Flowers eine Rendite von 600% auf seine Erstinvestition, als die Bank an die Börse ging, und zahlte keine japanischen Steuern auf den Gewinn.

Im März 2010 übernahm ein weiterer Goldman Sachs-Ehemaliger, der frühere CEO Jon Corzine, die Leitung von MF Global, nachdem seine Wiederwahl zum Gouverneur von New Jersey gescheitert war. Im Februar dieses Jahres gab Corzine seine Absicht bekannt, das Unternehmen innerhalb von fünf Jahren in eine Investmentbank umzuwandeln. Dies sollte mit Hilfe von Fremdkapital - Schulden - geschehen.

Ende September wies die Bilanz von MF Global Eigenkapital in Höhe von USD 1,23 Milliarden und Vermögenswerte in Höhe von USD 41,05 Milliarden aus – eine erschreckende Leverage Ratio, wie die, die zum Untergang von Bear Stearns und dann von Lehman führte. Sie wetteten auf Hypotheken, Corzine auf die Verschuldung der Eurozone. Wie die anderen in Konkurs gegangenen Institutionen erhöhte MF Global die Fremdfinanzierungsmittel durch Derivate und die Finanzierung von langfristigen Wetten mit kurzfristigen Krediten.

Anfang dieses Jahres hatte Corzine eine riesige Wette in Höhe von USD 6,3 Milliarden auf die Schulden wackeliger europäischer Regierungen gesetzt in der Annahme, dass sie gerettet und die Anleihen zum Nennwert zurückgezahlt würden. Als die Buchwerte fielen, sah sich das Unternehmen mit eskalierenden Forderungen nach finanziellen Sicherheiten konfrontiert, denen es nicht nachkommen konnte, weil die Rettung nicht rechtzeitig erfolgte. Dies war eine Neuinszenierung der Ereignisse, die zum Untergang des Versicherungsgiganten AIG führten. Als AIG gerettet wurde, wurden Goldman Sachs die Wetteinsätze, die es über AIG platziert hatte, von der US-Regierung in voller Höhe erstattet.

MF Global hat keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung, weil es keine Retailbank ist, wohl aber sein größter Kunde, JP Morgan.

Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleiben sie gleich.

Das globale Finanzsystem hat nach wie vor eine krankhafte Neigung zu stratosphärischen Fremdkapitalniveaus, während es gleichzeitig von einer Drehtür profitiert, in der gewählte Amtsträger und Regulatoren sich kaum von denjenigen unterscheiden, die sie regulieren sollen. Der derzeitige Vorsitzende der US CFTC, einer der Regulierungsstellen, die für Unternehmen wie MF Global verantwortlich sind, hat sich aus den Ermittlungen im Zusammenhang mit den fehlenden Geldern von MF Global unter Berufung auf Interessenkonflikte ausgeklinkt. Er arbeitete mit Corzine bei Goldman Sachs zusammen…

Signalisiert der Zusammenbruch von MF Global weitere und größere Insolvenzen? Zweifellos. Wenn man ihn aber als den Kanarienvogel in der Finanz-Kohlengrube bezeichnet, tut man der Kohlengrube Unrecht. Kohle ist trotz aller damit verbundenen Gefahren eine Energiequelle. Was man von an Staatsschulden gekoppelten Derivaten nicht behaupten kann.

Bei den hektischen Bemühungen um die Rettung europäischer Staatsanleihen ist es nie um die Stützung von Existenzgrundlagen und Dienstleistungen gegangen – es geht um die Rettung von Investoren, die Staatsschulden zu einem Bruchteil ihres Nennwerts kaufen und astronomische Zinszahlungen einstreichen. Während die Arbeitslosigkeit in die Höhe schnellt und öffentliche Dienstleistungen demontiert werden, fließen beispiellose Geldbeträge weiterhin in Instrumente, die nur einem Zweck dienen sollen: Finanzinvestoren Einkommensströme zu garantieren. Hätte MF Global seine Wette gewonnen, würde es keinem Beschäftigten wo auch immer besser gehen. Aber gleich ob gewonnen oder verloren, wir zahlen.