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In Indien steht die Demokratie auf dem Spiel

13.02.20 Editorial
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Die Staatsbürgerschaft, das Tor zu allen Rechten, steht in Indien unter Beschuss der Regierung. In den letzten Monaten sind im Zuge der anhaltenden landesweiten Proteste gegen den Angriff der Regierung auf die Grundfesten der indischen Demokratie Tausende Menschen verhaftet und Dutzende getötet worden.

Die Regierungspartei BJP von Premierminister Modi verwirklicht zügig ihren historischen Traum, die säkulare Demokratie durch einen autoritären Ethnonationalismus zu ersetzen, in dem für Muslime, abweichende Meinungen, bürgerliche Freiheiten oder demokratische Rechte, einschliesslich der Gewerkschaftsrechte (auf Englisch), kein Platz ist.

Im Dezember wurde im Eiltempo ein Staatsbürgerschaftsgesetz (CAA) verabschiedet, das Muslime formell stigmatisiert, indem es Nichtmuslimen aus den Nachbarländern Pakistan, Bangladesch und Afghanistan, die vor 2015 in Indien angekommen sind, den schnellen Erwerb der Staatsbürgerschaft ermöglicht. Vorausgegangen war ein Präsidialdekret, das dem mehrheitlich muslimischen Staat Jammu und Kaschmir die verfassungsmässige Garantie politischer Autonomie entzog und ihn der unmittelbaren Herrschaft Delhis unterstellte. Die Regierung entsandte Tausende zusätzliche Soldaten in ein Gebiet, das ohnehin schon zu den am stärksten militarisierten Gebieten der Welt gehörte, nahm Massenverhaftungen vor, schaltete das Internet und die Fernmeldeverbindungen ab, verhängte eine lähmende Ausgangssperre und schloss internationale Beobachter aus. Die Abriegelung geht weiter.

Das CAA wird von anhaltenden Bemühungen flankiert, viele Millionen Menschen ihrer Bürgerrechte zu berauben. Damit wird an den Präzedenzfall angeknüpft, der schon in Assam geschaffen worden ist, wo 2 Millionen Einwohner im Jahr 2015 aus den Bürgerlisten gestrichen wurden. Diejenigen, die ihre Identität nicht nachweisen konnten – und viele Menschen sind einfach zu arm, um sich Zugang zu den erforderlichen Unterlagen zu verschaffe-, wurden aus dem Bürgerregister gestrichen, und ihnen droht Inhaftierung auf unbestimmte Zeit und der Verlust aller Rechte.

Die Regierung leugnet zwar, dass es Pläne zur Umsetzung dieses Programms auf nationaler Ebene gibt, im Dezember genehmigte sie aber Pläne für ein an die Volkszählung gekoppeltes Nationales Bevölkerungsregister, das genau dies zur Folge hätte. Der Premierminister bestreitet, dass es in Indien Massenhaftanstalten gibt, tatsächlich gibt es landesweit aber mindestens zehn (6 in Assam), und weitere sind im Bau.

Die Regierung hat auf die Protestwelle mit tödlicher Gewalt und Repression reagiert. Die Polizei hat tödliche Gewalt eingesetzt oder tatenlos zugesehen, während Protestierende von Schlägern brutal angegriffen wurden. BJP-Führer haben ‘Rache’ an den Protestierenden gefordert, dazu aufgerufen, sie “bei lebendigem Leib zu verbrennen” und “wie Hunde zu erschiessen” und gedroht, sie wegen Aufruhr nach dem Nationalen Sicherheitsgesetz strafrechtlich zu verfolgen.

Die Bewegung gegen das CAA und das Bürgerregister geht richtigerweise davon aus, dass damit versucht wird, Staatsbürgerschaft über die Religion zu definieren als Teil einer vielseitigen Attacke auf die säkulare Basis der indischen Demokratie und das elementarste aller Rechte: das Recht, Rechte zu haben.

Im BJP- Projekt der Intoleranz und des Ausschlusses ist kein Platz für Solidarität, die universelle Grundlage der Arbeiterbewegung. Dieses historische Bekenntnis zu Solidarität und Demokratie erklärt die Widerstandsfähigkeit unserer Bewegung und ist der Garant unserer Zukunft. Die Gewerkschaften überall in der Welt sollten geschlossen hinter den Protestierenden stehen.

Frauen in Shaheen Bagh, Delhi, veranstalten seit dem 15. Dezember eine ununterbrochene 24stündige Sitzblockade gegen das CAA und das Nationale Bevölkerungsregister.